Caret Blinking

Simona H. // RSE13

Lesung eine Science-Fiction Kurzgeschichte, die als Auftragswerk für das Raum Schiff Erde 2013 entstanden ist.

„Er wartet.“

„Lass ihn warten. Ich bin noch nicht konativ.“

Hemp verstand mich. Er lehnte sich zurück und verschränkte die Hände hinter dem Kopf als wolle er sagen „Suit yourself, Cherí.“

An ihm war alles dreisprachig, Programmiersprachen nicht eingerechnet. Wir hatten uns vor zwei Jahren auf einer Wahlveranstaltung der Equalisten kennen gelernt und arbeiteten seither zusammen. Ich konnte nicht verstehen, warum er sie immer noch wählte. Oder warum er sein Haar dieser neuen australischen Mode nach mit einem glattrasierten Streifen von Ohr zu Ohr trug. Aber er hatte es drauf und wir waren ein gutes Team.

blinking caretNur an Geduld für meinen kreativen Prozess fehlte es ihm. Es waren keine fünf Minuten vergangen, da begann er, im Takt des blinkenden Carets Schnalzlaute von sich zu geben. Als ich nicht reagierte schlug er sich mit den Handflächen auf die Schenkel und fragte:

„Was‘ los. Blockade oder Endlos-Loop?“

„Beides.“

„Komm, dann lass uns an der tropfenden Katze weiter arbeiten.“

Ich schwieg bockig. Er trommelte eine Weile mit den Fingern auf die Sessellehne und schlug dann vor:

„Oder lass uns erst ein paar Orks niedermetzeln.“

Im Grunde war er es, der die Orks mit seinem magischen Zweihänder niedermetzelte. Ich spazierte hinter ihm her, fand versteckte Schätze und sammelte im Wald Kräuter für meine Alchemistin. Nur an diesem Tag kamen wir nicht weit, weil unser Abenteuer unvermittelt durch das Fiepen des Sphärenportals unterbrochen wurde und das war es dann mit Spannung, Spaß und Spiel – zumindest für mich. Cilla aus Leopolis, der fleischgewordene rothaarige Prototyp eines Manic Pixie Dreamgirls bestand auf sofortigem Spontansex mit Hemp und schon saß ich allein im Wald.

Nachdem ich genug von diesem besonders seltenen Holz für meine nächsten Bogenbauprojekte beisammen hatte, wurde mir langweilig. Ein kurzer Blick aus dem Fenster sagte mir, dass es draußen nasskalt war und nieselte. Ich warf mich in ein Hoodie und ging zu meinem Lieblingshamam in die Salzkutscherstraße, drüben im deutschen Viertel. Eine Intervention auf körperlicher Ebene half verlässlich bei Kopfblockaden wenn kein Soma zur Hand war. Aber ausgerechnet heute hatten die Agilisten direkt vor dem Hamam ihren Stand aufgebaut. Die Promotionhorde, die sie engagiert hatten, war extrem gut ausgebildet und fast niemandem gelang es, sich dem Gespräch zu entziehen – nicht einmal mir. Sofort kam eine der adretten Hormonschleudern freundlich lächelnd auf mich zu und eh ich mich’s versah hatte ich auf seine erste Frage schon mit Ja geantwortet, obwohl ich mir geschworen hatte das nicht zu tun. Während ich noch analysierte, wie es dazu hatte kommen können, war das Gespräch bereits ohne mein Dazutun fortgeschritten.

„Bitte“, sagte er gerade mit Dackelblick. „Sagen Sie mir nicht, Sie hätten diesen herrlich agilen Frauenkörper schon den Equalisten ausgeliefert?“

„Ich trinke nicht einmal Equa-Mate“, antwortete ich grundlos geschmeichelt und mir über diesen Zustand völlig im Klaren. „Bier formte diesen Körper. Bier und Franzbrötchen.“

„Eine Atheistin?“ seine Augenbraue schnellte in die Höhe.

„Mehr eine anarchistische Agnostikerin.“

„Ich hatte keine Ahnung, dass das heute noch praktiziert wird“, sagte er. „Wie haben Sie diese Überzeugung bis in die fanatische Endphase der spätkapitalistischen Wertedekadenz hinüber retten können?“

„Hauptsächlich Persönlichkeitsspaltung. Außerdem Rollenspiele, Liebe und viel Bier.“

Sein Lächeln verflog. Niemand trank heute noch Bier und es schien, als habe meine zweite Erwähnung dieser altmodischen Substanz nun endlich das gewünschte Ziel erreicht, ihn von meiner sozialen Schwäche zu überzeugen. Schon schaute er sich um, als wolle er die Aufmerksamkeit aller auf uns gerichteten Überwachungskameras sicherstellen. Doch dann flüsterte er mir hinter vorgehaltener Hand ins Ohr:

„Shevek wäre stolz auf Sie, weiter so, Soldat.“

Und damit ließ er mich stehen. Ich dachte erst gar nicht weiter darüber nach, welches geheime Codewort ich nun versehentlich genannt haben mochte, sondern sputete mich, in den Hamam zu kommen, bevor mich ein weiterer Potenzstengel aus dem zehnköpfigen Promoteam ansprechen konnte. Ich begab mich vertrauensvoll in die erfahrenen Hände von Yildiz. Das Schöne daran war, dass Yildiz selbstverständlich Praktiken der Agilisten in ihre Behandlung integriert hatte, nur ging sie damit nicht hausieren und nannte es nicht so. Sie nannte es Yogashia. Dadurch hatte sie geschickt alle Kontrollen umgangen und konnte weiter unbehelligt als freischaffende Hamambaderin arbeiten. Und ich konnte weiter unbehelligt unter ihren Händen dahinschmelzen und anschließend federnden Schrittes mit einer porentief gereinigten Haut und unverwundbar hinter meiner Duftwolke aus Sandelholz und Neroli in die Welt zurückkehren.

Diese Welt benahm sich allerdings sehr aufmerksamkeitsheischend. Als ich in die Katzenbergerstrasse einbog, wurde quasi vor meiner Nase ein Sauerstofftransporter überfallen. Der Sicherheitsdienst hatte leichtes Spiel mit dem kurzatmigen Straßenräuber und ich wurde Zeuge, wie sein lebloser Körper abtransportiert wurde. Alles sehr unschön. Und alles nur, weil irgendein verrückter Wissenschaftler, mutmaßlich inspiriert von Tokio Hotel, ein Mittel gegen den Monsun erfunden hatte. Ich glaube, er hat dafür sogar auf irgendeinem futurologischen Kongress einen Preis bekommen. Die eine oder andere Schlammlawine mag er sogar verhindert haben, weshalb das großflächige Sterben der Monsunwälder Indiens und Asiens als Kollateralschaden verbucht wurde. Nur unterm Strich war das Ganze der globalen Sauerstoffversorgung eher abträglich gewesen, zumal wir uns sowieso alle wegen der abschmelzenden Polkappen in höhere Regionen mit dünnerer Luft hatten zurückziehen müssen. Aber ich will nicht meckern. Mir gefiel es in Sarajevo.

Persönlich hatte ich an anderen Dingen mehr zu knabbern. Die Vereinigten Staaten zum Beispiel durfte ich nicht mehr besuchen, weil der dort amtierende Autokrat Sergio Berlusputin vor einem Jahr die Grenzen endgültig dicht gemacht hatte. Seither drangen nur unzuverlässige Informationen über die dortigen Verhältnisse nach außen und ich konnte Teile meiner Familie nicht mehr erreichen. Wer weiß, ob sie sich gegen die heranstürmenden Orkhorden hatten verteidigen können. Bis zuletzt hatte ich versucht, ihnen mit unzensierten Informationen aus Europa und China Mut zu machen – vergebens. Sie glaubten mir am Ende nicht einmal mehr, dass es hier noch mutige, freie Menschen gab. Mancher Gedanke ist ein Schwerguttransport, für den die Mittel fehlen.

Mitten in diesem Gedanken piepste Lucy mich an und schon saßen wir am Pier beim Ginsengtee und nahmen einander den wöchentlichen Rant ab. Lucy hatte sich mit den Equalisten angelegt: Verdacht auf subversives Verhalten. Einer weiblichen Teamkollegin hatte sie mitten im Sprint einen Tag mehr Urlaub gegönnt, als einem männlichen Kollegen. Der hatte sich offenbar beschwert, die Prinzipien der Gleichbehandlung würden nicht eingehalten. Nun standen dem Team stärkere Kontrollen und haufenweise Individualgespräche bevor. Und als ob das nicht schon nervig genug war, waren gleich die Agilisten mit einem unwiderstehlichen Angebot an sie heran getreten. Lucy wusste nicht, was sie tun sollte.

„Frontenwechsel?“, schlug ich vor.

„Ach, Equalisten, Agilisten… ist doch alles eine Soße. Ich hab erst letztes Jahr gewechselt.“

„Kann dir dein Mann nicht helfen? Der hat doch Kontakte.“

„Der ist rund um die Uhr in diesen Untersuchungsausschuss zum Fall Merkel und Gretel eingebunden. Aber stell dir vor: sobald das durch ist wird Gregors Lebensarbeitszeitkonto dermaßen überlaufen...! Wir beamen dann sofort rüber nach Neu-Tahiti für eine mehrjährige Auszeit.“

Die Firma würde sie aufgeben, Firmengründungen lohnten sich überhaupt nur in den ersten zwei Jahren, sagte sie, solange halt die Subventionen flössen. Und zur Feier des Tages gab sie eine Runde gepfefferter Ozelotnasen aus. Schweineteuer, je ausgestorbener eine Spezies, desto begehrenswerter ihre Replikate. Aber die Nasen zergingen auf der Zunge und so erzähle ich ihr schließlich doch noch von meiner kreativen Blockade.

„Er blinkt und blinkt und blinkt.“

„Hach, ich wünschte, Gregor würde das im Luftverkehr öfters tun“, lachte Lucy und schob sich eine Ozelotnase zwischen die Designerlippen.

blinking caretNein, der Caret. Macht mich ganz wahnsinnig. Ich bring keinen Satz zu Kristall.“

„Du meinst das Caret?“

„Der muss männlich sein, so provozierend wie er immer dasteht.“

„Woran arbeitest du denn?“

„Was Eigenes. Hemp und ich hatten da so eine Idee…“

„Auf eigene Kappe? Macht das bloß nicht. Hast du doch gar nicht nötig. Du hast doch genug kommerzielle Projekte auf Halde.“

„Aber die Idee ist gut! Sicher können wir sie verkaufen wenn wir sie…“

„Keinen Handschlag ohne Auftrag, sag ich. Sonst ist der Karriereknick vorprogrammiert. Mädel, du bist eine unserer Besten! Du bist so gut, Gregor und ich haben überlegt dich mit nach Neu-Tahiti zu nehmen. Da lässt sich noch was bewegen! Jetzt enttäusch uns nicht!“

Just in dem Moment kam zum Glück Hemp durch und sagte, nun sei er wieder verfügbar. Das verstand Lucy und es ersparte mir eine Antwort, denn Arbeit ging immer vor.

Es war die Nacht, in der wir mit der tropfenden Katze fertig wurden. Ein paar Stunden werkelten wir still vor uns hin, er in Lemsville, ich in Sarajevo. Natürlich nicht ganz still. Von Hemp war dieses rauschhafte Tippen und Fingertapsen zu hören, an dem ich ihn unter Hunderten erkannt hätte. Hin und wieder kam noch der tierische Grunzton, den er immer machte, wenn er ungeduldig die Nase hochzog. Irgendwann später starrte ich wieder auf meinen blinkenden Caret und trank zum ersten Mal seit Monaten Bier. Es half aber nicht. Erst in den frühen Morgenstunden, in denen man fast allen fast alles sagen kann, erzählte ich Hemp von Lucys Reaktion.

„RaumSchiffErde verlassen? So richtig new frontier mäßig ab zum Waldplaneten?“, fragte er.

„Hmm. “

„Hey, da lernst du mit echten Bögen schießen! Gibt’s da Orks?“

Ich schüttelte den Kopf und versuchte ihm zu erklären, dass auf Neu-Tahiti nur Vegetarier lebten.

„Warum?“

„Was weiß ich. Vielleicht weil sie keine Lust haben, alle Tiere zu töten und dann von Replikaten zu leben.“

„Warum? Where’s the fun in that?“

„Und wo ist der Spaß, wenn ich beim ersten eigenen Projekt die Totalblockade kriege, während sich der kommerzielle Scheiß wie geschnitten Trockenfleisch verkauft?“

„Ach das, das ist nur die new frontier im Kopf, eine Illusion, nix weiter. “

„Du kennst das?“

„Bien sûr.“

„Und was machst du, wenn du davor stehst?“

„Lange davor stehen und gucken.“

„Und dann?“

„Rübergehen.“

Simona H.Simona H.

Simona v1.85beta. Zwischen Nexus und Limbo. Zwischen technischer Redaktion und Literatur. Zwischen Bremen und Hamburg. Oder wie Genette sagte: Often the proper answer would be that it depends on the day, the context, and the way the wind is blowing. Norddeutsch by Nature.

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